Ein Leben an der Lagune?
Geologie erzählt von Kontinentaldrift und seismischen Kräfte
Von Rolf Muth
Vor 4,5 Milliarden Jahren gab es den Urknall, das Universum entstand und in diesem Zuge auch die Erde. Die Landschaft, so wie wir sie kennen, ist ein Millionen Jahre alter Fußabdruck der Ewigkeit. Hätte sich die Evolution beeilt und den Menschen ein paar Millionen Jahre eher hervorgebracht, dann wäre es den Bewohnern unseres Landstrichs damals vielleicht vergönnt gewesen, so ähnlich zu leben wie die Venezianer heute in Italien – an einer Lagune.
Die Wissenschaft hat ein klares Bild von der Erdgeschichte: Vor 4,2 Milliarden Jahren speien Vulkane Wasserdampf aus. Mit der Abkühlung des Planeten regnet es etliche Millionen Jahre lang. Der Ur-Ozean entsteht. Es folgen Mikroben (vor vier Milliarden Jahren). Und vor rund drei Milliarden Jahren bildet sich der Urkontinent.
Mit Blick auf diese unvorstellbaren Zeiträume ist es quasi erst gestern gewesen, als sich die geologischen Schichten unserer Heimat gebildet haben, wie das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg in einer anschaulichen Zeittafel für den Schulunterricht darstellt. Im Erdmittelalter, dem Mesozoikum (vor 251 bis 65 Millionen Jahren), entstanden die für unsere Landschaft relevanten Erd- und Gesteinsschichten: Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper (Trias 251 bis 208 Millionen Jahre), Schwarz-, Braun- und Weißjura (Jura 208 bis 144 Millionen Jahre) sowie Ober- und Unterkreide in der Kreidezeit (144 bis 65 Millionen Jahre). Diese Schichten wurden auf das Grundgebirge aus Gneis und Granit aufgesetzt, das etwa 200 Millionen Jahre zuvor im Zeitalter des Paläozoikums entstanden ist.
Seismische Kräfte haben an der heutigen Lage der Schichten einen nicht unerheblichen Anteil: Die Erdkruste hebt und senkt sich in den Jahrmillionen mehrfach. Ursprünglich fast horizontal abgelagerte Schichten werden angehoben und /oder verschoben. Durch Abtragung verschwinden flächenweise ganze Lagen, beziehungsweise treten andere, ursprünglich viel tiefer liegende Ebenen ans Tageslicht. So kann man im Schwarzwald über 200 Millionen Jahre altes Grundgebirge an der Oberfläche sehen. Ein anderes Beispiel: Die Schichten des Oberen Muschelkalks im Norden von Massenbachhausen liegen wesentlich höher als im Ort selbst. Im Bereich des Strom- und Heuchelbergs sind die Keuperschichten noch fast vollständig erhalten.
Fruchtbare Landschaft
Wie im Massenbachhausener Heimatbuch (erschienen 1999) zu lesen ist, haben geophysikalische Messungen im Westen von Heilbronn ergeben, dass Granite und Gneise des Grundgebirges in einer Tiefe von einem Kilometer zu finden sind. Höhere Keuper- und Juraschichten seien vor rund 120 Millionen Jahren, also in der Kreidezeit abgetragen worden. Die flache Gipskeuperlandschaft wurde während des jüngsten geologischen Abschnitts, des Pleistozäns, in dem sich Eiszeiten mit Wärmephasen abwechselten, mit Löß bedeckt, einer Schicht, die eine hohe Wasserspeicherkapazität für die Pflanzen und eine hohe Ertragssicherheit hat. Im Pleistozän (2,6 Millionen bis 12.000 Jahre) bildete sich der fruchtbare Heimatboden. Die reichhaltige Lößlehmdecke ermöglicht den Landwirten neben der Aussaat von Weizen, Mais und anderem auch den Anbau etwa von Erdbeeren, Salat, Kartoffeln, Spargel und vielem mehr. Keuper- und Muschelkalkschichten findet man in einem großen Senkungsgebiet, dem sogenannten germanischen Becken. In dieser weitgespannten Mulde wurden in der Zeit des Buntsandsteins gewaltige Sandsteinschichten aufgeschüttet. Das Niveau lag knapp über dem Meeresspiegel. In der Muschelkalkzeit drang in dieses Becken von Nordost das Meerwasser ein. Also in einer Phase, als Echsen sich zu mächtigen Dinosauriern entwickelten. Sie beherrschten über 160 Millionen Jahre lang das Land.
Salzlager
Durch Barrieren und durch das Heben und Senken der Landmassen wiederholte sich der Vorgang mehrfach. In besonderen Senken setzten sich gewaltige Massen an Salz ab. Wer sich das anschauen möchte, hat dazu im Besucher-Salzbergwerk in Bad Friedrichshall die Gelegenheit. Die Ausdehnung dieses Salzlagers reicht bis an unsere Nachbarschaft Leingarten und Kirchhausen heran, wo es östlich des Heilbronner Stadtteils den Schacht Konradsberg gibt. Während der Entstehungszeit des Lettenkeupers war das Meer immer wieder in den Ablagerungsraum vorgestoßen. Neben einem flachen Meer entstand die oben erwähnte Lagunenlandschaft. Mitteleuropa lag damals aufgrund des Kontinentaldrifts auf Höhe der heutigen Subtropen.
Ein reiner Urwald
Und Deutschland? Ja – unsere Gegend war reiner Urwald und befand sich in etwa auf der Höhe von Sizilien. Hier lebten neben Affen auch Krokodile und Schlangen. Vom Menschen ist noch 230 Millionen Jahre lang weit und breit keine Spur: Das älteste Fossil, ein Unterkiefer, wurde 1907 in der Sandgrube Mauer bei Heidelberg entdeckt. Er wird auf ein Alter von 600.000 Jahre geschätzt.